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Microcredentials in der beruflichen Weiterbildung

Effiziente Modularisierung: Mehrwert für Arbeitgeber, Erwerbstätige und Arbeitsuchende

Die berufliche Weiterbildung steht vor der Herausforderung, dem beschleunigten Wandel der Anforderungen an Kompetenzen mit innovativen Formaten Rechnung zu tragen. Im Interesse der Fachkräftesicherung und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ist es erforderlich, Erwerbstätigen wie auch Arbeitsuchenden flexible Möglichkeiten zu bieten, ihren persönlichen Qualifizierungsbedarf zielgerichtet zu decken.

Ein Ansatz hierfür ist die Integration sogenannter Microcredentials, d. h. Nachweise über Lernergebnisse, die im Zuge komprimierter Lerneinheiten erzielt wurden (bspw. Pouliou, 2024). Nachdem seit 2022 eine EU-Ratsempfehlung über einen europäischen Rahmen für Microcredentials vorliegt, könnte auf deren Grundlage eine entsprechende Systematik für das deutsche Berufs- und Weiterbildungswesen aufgebaut werden. So kann sich der Mehrwert, den Microcredentials bieten, für das System der beruflichen Weiterbildung entfalten.

Microcredentials und das deutsche Bildungssystem

Mit dieser Zielsetzung ergibt sich für die Berufsbildungspolitik in der neuen Legislaturperiode die Aufgabe, die im Konzept der Microcredentials angelegte Modularisierung aufzugreifen und für das Feld der beruflichen Weiterbildung fortzuentwickeln. Dabei ist das Prinzip der Beruflichkeit – d. h. die Strukturierung von Lernergebnissen anhand überbetrieblich standardisierter Berufsbilder anstelle betriebsspezifischer Tätigkeitsprofile – nicht in Frage zu stellen.[1] Eine zentrale Forderung besteht darin, die Ausgestaltung von Microcredentials an den Strukturprinzipien des Systems der beruflichen Aus- und Weiterbildung auszurichten. Konkret bedeutet dies, dass Microcredentials auf Berufsbilder aus der beruflichen Fortbildung nach BBiG und HwO oder aus der landesrechtlich geregelten Weiterbildung bezogen und so konzipiert werden, dass sie im Rahmen aufeinander aufbauender Bildungsangebote anrechenbar sind. Als Richtmaß kommen hier die vom Hauptausschuss des BIBB erstellten Eckpunkte zur Struktur und Qualitätssicherung der beruflichen Fortbildung in Betracht. Diese beschreiben die beruflichen Anforderungen und zu fordernden beruflichen Kompetenzen, die für die drei im BBiG und in der HwO gesetzlich verankerten Fortbildungsstufen bestehen; zudem werden Anforderungen an die Qualitätssicherung im Rahmen der Ordnungsverfahren formuliert.

Analog zu diesen Strukturvorgaben sind Regeln für die Gestaltung von Microcredentials zu formulieren, die auf eine Vereinbarkeit mit dem bestehenden System der beruflichen Fort- und Weiterbildung abzielen. Diese Anschlussfähigkeit ist von besonderer Bedeutung. Zum einen, weil Microcredentials dem aktuellen Stand der Forschung zufolge Lernenden einen effizienten Kompetenzerwerb ermöglichen und damit Beschäftigungssicherheit und Einsatzmöglichkeiten erhöhen. Zum anderen, weil sie aufgrund ihres engen Zuschnitts rasch veralten können und daher als isolierte Lernelemente betrachtet eine geringe Halbwertszeit aufweisen (vgl. OECD, 2023).

Das f-bb: Beitrag aus der Forschung

Um systematische und untereinander vergleichbare Anrechnungsmöglichkeiten zu schaffen, beschäftigt sich das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) seit einigen Jahren verstärkt mit der Frage, wie verbindliche Definitionen im Feld der bislang weitgehend unregulierten Nutzung von Microcredentials geschaffen werden können. Dabei ist einerseits der jeweils vorgesehene Lernumfang bzw. -aufwand in den Blick zu nehmen, indem beispielsweise ein einheitliches Punkte-System (in Anlehnung an das ECTS-System) mit dem Ziel einer transparenten Anrechenbarkeit modularer Lernleistungen konzipiert wird. Andererseits das Anforderungsniveau (orientiert z.B. an den drei Fortbildungsstufen nach BBiG/HwO) um die hierarchische Gliederung des deutschen Berufswesens in einer modularisierten Bildungswelt abzubilden.

Eine damit ausgeprägtere Flexibilisierung der beruflichen Weiterbildung ermöglicht Lernenden passgenauere und effizientere Lernpfade. Dies trägt zu geringeren Abbruchquoten sowie einer Schließung individueller Lernlücken bei gleichzeitiger Verwertung des Lernaufwands für nachfolgende Lernschritte bei (Pabst et al. 2024). Der Markt der Bildungsanbieter wiederum profitiert von den angestrebten verbindlichen Vorgaben zur Ausgestaltung unterschiedlicher Microcredentials, indem z.B. modular angelegte Lerninhalte leichter aktualisiert und zielgerichteter vermarktet werden können.

Weichen für eine zukunftsorientierte berufliche Weiterbildung stellen

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Politik weiterhin die Weichen für eine zukunftsorientierte berufliche Weiterbildung stellen muss. Das heißt auch, dass Microcredentials konsistent in das bestehende Bildungssystem integriert werden müssen, um den Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Auch im Bereich des digitalen Lernens und der Entwicklung von KI-Kompetenzen können Microcredentials eine entscheidende Rolle spielen, da durch flexible und kleinere Lernformate unmittelbar auf technologische Entwicklungen reagiert, spezifische Kompetenzen gefördert und veraltete Lerninhalte schneller aktualisiert werden können. Dafür braucht es klare Regelungen und Qualitätsstandards, die eine Anrechenbarkeit und Aktualisierbarkeit der Lerninhalte gewährleisten. Nur so kann die berufliche Weiterbildung flexibel, effizient und nachhaltig gestaltet werden, um sowohl den individuellen Qualifizierungsbedarfen der Erwerbstätigen als auch den Anforderungen der Wirtschaft gerecht zu werden.

 

Quellenangaben:

Gayer, T./Heimann, K./Kaßebaum, B./Kuda, E./ Kutscha, G./Ressel, T./Schmoldt-Ritter, U./Sambeth, M./Spöttl, G./Strauß, J. (2014): Erweiterte moderne Beruflichkeit - Ein gemeinsames Leitbild für die betrieblich-duale und die hochschulische Berufsbildung. In: IG Metall (Hrsg.): Discussion Paper.

OECD (2023), “Micro-credentials for lifelong learning and employability: Uses and possibilities”, OECD Education Policy Perspectives, No. 66, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9c4b7b68-en.

Pabst, C., Jöchner, A., Fischer, A., Lorenz, S., & Schley, T. (2024): Modularisierung berufsbezogener Weiterbildung. Ein Praxisleitfaden für Bildungsanbieter. Leitfaden für die Bildungspraxis, 73, wbv: Bielefeld, 2023

Pouliou, A. (2024). Exploring the emergence of microcredentials in vocational education and training (VET). Publications Office of theEuropean Union. Cedefop working paper series, 22. Online unter: http://data.europa.eu/doi/10.2801/671358


[1] Wir orientieren uns an der modernen Definition einer Beruflichkeit, die spezialisierte Einzelberufe zu Kernberufen bündelt, Arbeits- und Geschäftsprozessorientierung ins Zentrum stellt und dafür ein stetiges Lernen erfordert, um eine umfassende berufliche Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit auch bei sich ändernden Geschäfts- und Tätigkeitsanforderungen sicherzustellen (vgl. Gayer et al., 2014).

Dr. Wolfgang Wittig

Christopher Pabst

Thomas Schley