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Zukunftsfähige Beratung braucht digital Literacy

Wie digitale Tools und KI die Beratungs- und Informationsarbeit verändern

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) verändern zunehmend die Beratungslandschaft. Während digitale Technologien in vielen Wirtschaftssektoren etabliert sind, entwickelt sich ihr Einsatz in der Beratung gerade erst. Online-Beratungen, Chatbot-Kommunikation und KI-gestützte Erstgespräche bieten neue Möglichkeiten von der Berufs- bis zur psychosozialen Beratung. Insbesondere neue KI-Ansätze wie „Living Intelligence“ und „Dialog Agents“ (siehe Infokasten) erweitern die Möglichkeiten einer individualisierten Beratung.

Digitale Tools ermöglichen zeit- und ortsunabhängige Beratung, erleichtern den Zugang zu schwer erreichbaren Zielgruppen und entlasten Beratende durch die Automatisierung von Routineaufgaben, wie die Erstellung von Statistiken und Berichten. KI kann Anfragen analysieren, passende Angebote vermitteln oder als dialoggestützter Sparringspartner bzw. Chatbot in der psychosozialen Beratung fungieren. Trotz dieser Vorteile begegnen viele Beratende der Digitalisierung skeptisch – oft aus Unsicherheit, mangelnder technischer Kompetenz oder der Sorge vor Entmenschlichung. Sensibilisierung für und Erprobung digitaler Angebote sind daher entscheidend.

Wie solche Ansätze aussehen können, erprobt das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung gGmbH (f-bb) gegenwärtig in verschiedenen Projekten, von denen die folgenden zwei einen praxisbezogenen Einblick gewähren sollen.

Projektbeispiel: Aufsuchende Informationsarbeit in Sozialen Medien

Soziale Medien sind fester Bestandteil des Alltags: 67,8 Millionen Deutsche nutzen Plattformen wie Facebook, Instagram und YouTube, durchschnittlich 35 Stunden monatlich (Vgl. Meltwater, 2024 ). Das Projekt „kontakt next“ (im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit) erprobt die digitale aufsuchende Informationsarbeit zur beruflichen (Wieder-)Eingliederung. Dabei ist die Arbeit der

Berater*innen vollständig digitalisiert: Sie suchen über Themen und Stichworte entsprechende Posts in sozialen Medien und reagieren darauf mit anlassbezogenen (?) Informationen. Die Informationen werden mit Hilfe von Bildern, Grafiken und Reels aufbereitet, um mehr Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Erprobung zeigt, dass diese Art der Informations- und Beratungsarbeit funktioniert, insbesondere wenn zuvor, im Rahmen offener und transparenter Kommunikation, eine Vertrauensbasis gebildet wurde. Beratende müssen für digitale Informationsarbeit jedoch nicht nur inhaltliche, sondern vor allem mediale Kompetenzen entwickeln.

Projektbeispiel: KI in der psychosozialen Beratung

KI kann psychosoziale Beratung unterstützen – von Routinearbeiten über Chatbot-Angebote bis hin zur Echtzeitanalyse von Anfragen. Sie kann Beratungskonzepte personalisieren, Wartezeiten überbrücken oder Sparringspartner für schwierige Gespräche sein. Das Zukunftszentrum Digitale Arbeit Sachsen-Anhalt (ZZST), gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie der EU und dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Sachsen-Anhalt, begleitet zurzeit Unternehmen der Sozialwirtschaft bei der Implementierung von KI im psychosozialen Beratungskontext. Hier können Chatbots für den Erstkontakt eingesetzt werden, Dialogtools zur Überbrückung in Wartephasen oder bei der Durchführung von Selbsthilfephasen unterstützen. Selbst erste niederschwellige Beratungseinheiten können durch eine KI abgedeckt werden. Beratende benötigen dafür, neben ihrer berufsfachlichen Kompetenz, technologisches Verständnis, Datenschutzwissen und eine Reflexion der ethischen Grenzen als Grundlage, um auch dauerhaft Souverän des Beratungsprozesses zu bleiben und das eigene Tätigkeitsfeld zukunftsfähig zu gestalten.

Digital Literacy als Beratungskompetenz

Beide Beispiele verdeutlichen, dass sich Beratungs- und Informationsarbeit im Zuge der Digitalisierung wesentlich verändert. Damit dieser Wandel gelingt, ist es wichtig, bei den Beschäftigten Akzeptanz für diesen Wandel zu schaffen und die Vermittlung neuer beruflicher Kompetenzen voranzutreiben.

Die Chancen liegen zum einen darin, Zielgruppen auf neuen Wegen zu erreichen und ihnen einen verbesserten, zeit- und ortsunabhängigen Zugang zu den Angeboten bereitzustellen. Gleichzeitig können Beratende in ihrer Tätigkeit entlastet werden und auf unterstützende Ressourcen zugreifen. Der Nutzen für die Klient*innen entsteht dann u.a. in einem passgenauerem Matching, schneller aufbereiteten Informationen und ggf. einer dialoggestützten Überbrückung von Wartezeiten.

Das Nationale Forum Beratung (nfb) greift seit 2024 die Diskussion um Zukunftskompetenzen der Beratung auf und kommt zu dem Schluss, digitalisierte Beratung erfordert neben technologischer Anwendungskompetenz, die Datenschutzregelungen berücksichtigt, auch methodisch-didaktische Fähigkeiten, um Technologien souverän einzusetzen. Die Ergänzung der Mensch-Mensch-Interaktion um die Mensch-Technik-Mensch-Interaktion ist unausweichlich, auch in nichtkommerziellen Beratungen wie der Berufsorientierung oder psychosozialen Beratung. Digital Literacy wird damit zur Schlüsselkompetenz für Beratende.

Perspektiven für Forschung, Qualifizierung und Qualitätsstandards

Deutlich wird in beiden Projekten, dass Praxiserprobung und die Identifizierung von neuen beruflichen Kompetenzbedarfen im digitalen Wandel von Beratung ein wesentliches Tätigkeits- und Forschungsfeld sind. Gelingensfaktoren und Hemmnisse bei der Gestaltung einer zukunftsfähigen Beratung können hier identifiziert und in Qualifizierungskonzepte für die einzelnen Beratungsfelder übersetzt werden.

Damit die Entwicklungen bisheriger Projekterfahrungen nachhaltig wirken können, sollten drei zentrale Aspekte weiter erforscht und entwickelt werden: Erstens ist eine systematische Untersuchung der Wirksamkeit und Akzeptanz digitaler Beratungsformate erforderlich. Dabei sollten nicht nur die Perspektiven der Beratenden, sondern insbesondere die Bedürfnisse und Erwartungen der Ratsuchenden sowie die Wirkung der Beratung in den Blick genommen werden. Zweitens braucht es gezielte Qualifizierungsprogramme für Beratende, die nicht nur technologische und datenschutzrechtliche Kompetenzen vermitteln, sondern auch ethische Reflexion und methodisch-didaktische Konzepte für hybride Beratungsmodelle fördern. Drittens sollte die verbindliche Implementierung der BeQu-Standards für digitale und hybride Beratungsformate samt Wirkungsevaluation sichergestellt werden. Nur durch eine konsequente Orientierung an etablierten Qualitätsstandards kann die Digitalisierung als Chance für eine nachhaltige und wirksame Beratung genutzt werden.

 

Info:

Living Intelligence und Dialog Agents sind Systeme, die eigenständig mit Nutzer*innen in Kontakt treten und individuell angepasste Empfehlungen geben können. Die Tools können Berater*innen unterstützen, in dem sie proaktiv auf individuelle Unterstützungsbedarfe im Beratungsprozess eingehen. Alternativ können solche Systeme perspektivisch auch direkt und individuell Klient*innen z.B. in Überbrückungsphasen begleiten.

 

Quellenangaben:

Rietmann, S., Berg, M., & Sawatzki, M. (2019). Beratung und Digitalisierung - Zwischen Euphorie und Skepsis. Springer VS.

Vuorikari, R., Kluzer, S. & Punie, Y. (2022). DigComp2.2: The Digital Competence Framework for Citizens. Luxembourg: Publications Office of the European Union. 

Weber P. & Schulz J. (2023). CGC-DigiTrans Report. CGC - Roundabouts for Digital Transformation. Professional Guidance & Counseling (CGC) in Multi-Actor-Networks. CGC Digi-Trans Project. https://digitransformation.net/report/ .