InfoForum 03/2023
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Interview mit Uta Kupfer
Was macht eine moderne und attraktive Berufsausbildung aus?
Hat die berufliche Bildung eine Zukunft? Was macht eine moderne und attraktive Berufsausbildung aus? Über diese Fragen haben wir mit Uta Kupfer gesprochen. Sie arbeitet in der Bundesverwaltung von ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft im Bereich Bildungspolitik, ist Mitglied im Beirat des f-bb und war an der Neuordnung des Ausbildungsberufs Versicherungskaufmann*frau beteiligt. Am Beispiel der Versicherungswirtschaft erläuterte sie, was eine moderne und attraktive Ausbildung ausmacht.
Wie sehen die aktuellen Zahlen aus: Gibt es mehr Studierende oder mehr Auszubildende? Ist die Berufsausbildung ein Auslaufmodell?
Uta Kupfer: Ein abgeschlossenes Studium mit Bachelor- und Masterabschluss dauert in der Regel fünf Jahre. Eine duale Berufsausbildung dauert drei Jahre, in manchen Berufen 3,5 oder sogar nur zwei Jahre. Damit sind Studierende sehr viel länger im Qualifizierungssystem, so dass der Vergleich von Studierenden und Auszubildenden im System meines Erachtens kein reales Bild ergibt. Ich würde mich auf Studienanfänger*innen und Ausbildungsanfänger*innen beziehen wollen. Im Jahr 2021 waren es 472.354 Studienanfänger*innen und 677.495 Ausbildungsanfänger*innen. Ein Auslaufmodell sieht anders aus.
Wo liegt dann das Problem?
Was mir Sorgen bereitet ist, dass wir mit dem System der dualen Berufsausbildung bei weitem nicht mehr die Schulabgänger*innen erreichen, die wir erreichen möchten. 2,6 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 35 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind deutlich zu viel. Diese Entwicklung ist sowohl für den Arbeitsmarkt schlecht, der dringend Fachkräfte braucht, als auch für die jungen Menschen. Ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist es in Deutschland schwer, in einem qualifizierten Job zu arbeiten. Meist bleiben dann nur Jobs im Niedriglohnsektor. Fällt ein solcher Job weg, bedeutet ein Wechsel wieder Anlerntätigkeit und meist wieder Niedriglohnsektor. Dieser Weg kann in die Armut führen und erschwert die gesellschaftliche Teilhabe. Dies schwächt außerdem den Zusammenhalt der Gesellschaft, da einem Teil der Bevölkerung die Teilnahme an Kultur, Sport oder Freizeitvergnügen verwehrt bleibt.
Wie sieht es in der Versicherungsbranche aus? Auch hier scheint die Berufsausbildung an Bedeutung zu verlieren. Wurden 2009 noch knapp 6.000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen, waren es im vergangenen Jahr bis zum 30. September nur noch rund 4.300. Wie kann dieser Trend gestoppt werden?
Uta Kupfer: Immerhin wurden noch 4.300 Ausbildungsverträge abgeschlossen. Der Versicherungsmarkt ist hart umkämpft, davon zeugen zahlreiche Fusionen in der Branche. Das geht nicht ohne Arbeitsplatzverluste und der damit verbundenen Verunsicherung der Beschäftigten. Ersetzt die Digitalisierung die Sachbearbeitung oder KI den Kundenkontakt? Brauchen wir dann überhaupt noch beruflich qualifizierte Fachkräfte oder müssen alle studiert haben? Vor diesen und anderen Fragen stand und steht die Branche. Die Entscheidung, trotzdem den Beruf der Kaufleute für Versicherungen und Finanzen neu zu ordnen zeigt, dass genau diese Fachkräfte weiterhin gebraucht werden.
Wie sieht diese Neuordnung aus?
Der Beruf ist seit 2022 in Kraft, ist modern und interessant. Es geht in der Beratung der Kund*innen ja schon lange nicht mehr um die einzelnen Versicherungssparten, sondern um umfassende Beratung aus einer Hand. Dem trägt die neue Ausbildungsordnung mit der Ausbildung in Kundenbedarfsfeldern Rechnung, gleichzeitig gibt es die Möglichkeit, sich in einer Wahlqualifikation zu spezialisieren. Besonders spannend finde ich die Wahlqualifikation „Digitalisierungsprozesse in der Versicherungswirtschaft initiieren und begleiten“. Man könnte meinen, dass sei Sache der IT-Abteilung. Aber wer sagt den Kolleg*innen aus der IT, welche Fragen die Kund*innen haben, wie die Website kundenfreundlich gestaltet wird? Das können die Sachbearbeiter*innen. Diese Zusammenarbeit zu gestalten und eine gemeinsame Sprache zwischen IT und Sachbearbeitung zu finden, ist eine interessante Aufgabe.
Ganz allgemein gesprochen: Was macht aus Ihrer Sicht eine moderne und attraktive Berufsausbildung aus?
Uta Kupfer: Eine moderne und attraktive Berufsausbildung beginnt mit der Gestaltung der Ausbildungsordnung, die nah an den Arbeits- und Geschäftsprozessen der Betriebe sein soll und Kompetenzen für das Arbeitsleben vermittelt. Darauf aufbauend gehört auch eine Aufstiegsfortbildung dazu, die es den Beschäftigten ermöglicht, ohne Studium eine Position im mittleren Management einzunehmen.
Daneben gibt es weitere Qualifizierungswege die zum Spezialisten qualifizieren, und die Möglichkeit des Durchstiegs zum Studium, wenn man seine berufliche noch durch eine akademische Qualifizierung ergänzen möchte. Dies sind mögliche Karrierewege, die man beschreiten kann, aber nicht muss.
Ein wichtiger Aspekt für die Attraktivität der Ausbildung ist aber auch die Ausbildungsqualität im Betrieb. Wie werden die Ausbildungsinhalte vermittelt, gibt es interessante Aufgaben, die selbstständig und im Team zu lösen sind, sind die Ausbilder*innen da und ansprechbar…?
Welche Faktoren sind jungen Menschen bei ihrer Entscheidung für eine Ausbildung wichtig?
Junge Menschen legen Wert auf eine gute Work-Life-Balance. In der Ausbildung wollen sie nicht anders behandelt werden als andere Mitarbeiter*innen. Konkret heißt das, dass sie auch Teile ihrer Ausbildung mobil absolvieren möchten, was wiederum die Ausbilder*innen vor neue Herausforderungen stellt. Aber ein großer Teil der Betriebe ermöglicht bereits mobiles Ausbilden.
Wie Betriebe Auszubildende gewinnen, hat sich in den letzten Jahren geändert. Eine Ausbilderin berichtete mir, dass Auszubildende erst dann zu ihnen kommen, wenn sie die Sinnhaftigkeit ihrer zukünftigen Arbeit erkennen. Was mache ich? Für wen mache ich das? Welchen Nutzen hat meine Arbeit? Das sind wichtige Fragen, die über die Aufnahme einer Ausbildung entscheiden.
Worin liegt, Ihrer Meinung nach, der Reiz einer Ausbildung im Vergleich zum Studium?
Die eigentliche Attraktivität einer Ausbildung im Unterschied zum Studium besteht darin, dass die Auszubildenden einen sehr direkten Einstieg und Einblick in das praktische Arbeitsleben bekommen. Sie sind täglich im Kontakt mit Kolleg*innen, Kund*innen und den Ausbilder*innen. Mit all diesen Menschen und deren Anliegen müssen sie umgehen, sich auseinandersetzen, zuhören, gute Lösungen für die Kund*innen finden. Ich glaube, dass dieser Aspekt noch viel zu wenig Beachtung findet, wenn Eltern ihre Kinder in Sachen Ausbildung oder Studium beraten.
Heiko Weber
Ariane Baderschneider