InfoForum 03/2019
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Vorbild Kanada!?
Ausländische IT-Talente finden, binden und erfolgreich begleiten
Interview mit Sandra Saric, Vizepräsidentin des „Information and Communication Technology Council (ICTC)“ über kanadische Angebote zur Integration ausländischer IT-Fachkräfte.
f-bb: Frau Saric, Sie sind die Vizepräsidentin einer kanadischen Non-Profit-Organisation für Arbeitsmarktexpertise in der Digitalwirtschaft, die u. a. Programme zur Unterstützung der Fachkräfteeinwanderung umsetzt. Wie sehen Ihre Angebote für internationale IT-Fachkräfte aus?
ICTC: Wir zeichnen uns vor allem dadurch aus, dass unsere Integrationsangebote schon greifen, wenn einwanderungsinteressierte Fachkräfte noch in ihrem Heimatland sind. Eines der am längsten bestehenden Vorintegrationsangebote („pre-arrival services“) ist “GO Talent”. Gemeinsam mit den interessierten Fachkräften aus dem Ausland prüfen wir zunächst ihren Lebenslauf und passen diesen möglichst an kanadische Standards in der Technik-Branche an. Wenn die Interessenten von Anfang an in Kanada beschäftigungsfähig sind, bringen wir sie sofort in Kontakt mit hiesigen Arbeitgebern aus unserem Netzwerk. Außerdem unterstützen wir bei Vorstellungsgesprächen: In Kanada werden oft Fragen zum eigenen Verhalten gestellt – also zum Beispiel dazu, wie die Interessenten mit einer bestimmten beruflichen Herausforderung umgehen würden. Darauf sind Bewerber*innen aus dem Ausland oft nicht vorbereitet, da sie fachliche oder technische Fragen erwarten. Um solchen interkulturellen Missverständnissen vorzubeugen, sensibilisieren wir parallel dazu auch die kanadischen Unternehmen.
Wenn uns oder potenziellen Arbeitgebern auffällt, dass ein Kandidat oder eine Kandidatin noch weiteren Qualifizierungsbedarf hat, vermitteln wir an die jeweiligen Stellen, um individuell passende Maßnahmen zu finden. Im Ergebnis haben wir eine hohe direkte Einstellungsrate: Rund 40 Prozent der Teilnehmenden an den Vorintegrationsangeboten erhalten einen Arbeitsplatz in Kanada, noch bevor sie überhaupt einreisen.
f-bb: Gibt es auch Angebote für Personen, die vor ihrer Einreise nach Kanada noch keine Arbeitsstelle gefunden und kein Vorintegrationsangebot in Anspruch genommen haben?
ICTC: Ja die gibt es, zum Beispiel „Coach Connect“. Das ist ein Programm, das ganz individuell auf Personen in unterschiedlichen Lebenslagen zugeschnitten ist und zum Beispiel Bewerbungstraining, die Vermittlung interkultureller Kompetenzen und Aspekte von Projektmanagement beinhaltet. Früher haben wir allen Neuankömmlingen dieselbe Unterstützungsleistung angeboten, mit der Zeit aber festgestellt, dass manche schon ausreichend vorbereitet sind und diese Hilfe gar nicht benötigen. Das Unterstützungsangebot hat diese Arbeitskräfte zeitlich eher gebunden und an der beruflichen Integration gehindert. Daher bieten wir jetzt drei unterschiedliche Modelle an: ein Vollzeitmodell, ein Teilzeitmodell und ein Selbstlernmodell.
Das Vollzeit- und das Teilzeitmodell werden als virtuelles Training in Echtzeit durchgeführt. Eine Lehrkraft leitet die Sitzungen und begleitet die Teilnehmenden drei Wochen lang. Stundenweise unterstützt zudem eine weitere Fachkraft mit Arbeitsmarktexpertise und Wissen über Möglichkeiten für Neuzugewanderte. Im Vollzeitmodell begleitet die Fachkraft alle Teilnehmenden individuell, im Teilzeitmodell wird jeweils eine Gruppe von fünf Teilnehmenden unterstützt.
Das Selbstlernmodell bieten wir seit Juli 2019 an, es findet ausschließlich online statt. Prinzipiell bietet es dieselben Schwerpunkte wie die beiden anderen Modelle, aber die Teilnehmenden erarbeiten sich die Inhalte selbst. Sie sind dabei zeitlich unabhängig. Das hilft vor allem Neuzugewanderten, die z. B. wegen Schichtarbeit, Kinderaufsicht oder Pflegefällen in der Familie nicht an den Präsenzkursen teilnehmen können.
f-bb: Wie haben sich die ICTC-Fachkräfteprogramme seit 2005 entwickelt und wer war daran beteiligt?
ICTC: Im Jahr 2005 wurden wir von Unternehmen aus der Technikbranche um die Entwicklung einer Strategie zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte gebeten. Daraufhin haben wir festgestellt, dass viele ausländische Fachkräfte bereits in Kanada lebten, was die Unternehmen überrascht hat. Es gab also einerseits Neuzugewanderte ohne Jobs und andererseits Unternehmen auf der Suche nach Fachkräften. Um das Problem anzugehen haben wir alle Interessenvertreter an einen Tisch gebracht – die zuständigen Ministerien, die Arbeitgeber, kommunale Organisationen und Bildungsinstitutionen sowie die Neuzugewanderten selbst – und alle Stimmen in die Programmentwicklung integriert. Dabei wurde schnell klar, dass der Unterstützungsprozess noch vor der Einreise beginnen muss. Aber auch nach der Ankunft in Kanada werden Angebote benötigt. Anschließend haben wir in den Herkunftsländern Fokusgruppen – also moderierte Gruppendiskussionen – abgehalten, um die Herausforderungen, mit denen Einwandernde konfrontiert sind, nachvollziehen zu können. Auf dieser Basis haben wir unsere Programme entwickelt und auf dieser Basis entwickeln wir sie weiter.
f-bb: Was sind Ihrer Meinung nach die Schlüsselfaktoren für den Erfolg von ICTC?
ICTC: Zum einen profitieren wir von den Erfahrungen, die wir in den vergangenen Jahren sammeln konnten. Auf dieser Basis überprüfen wir ständig die eigene Arbeit und passen Programme an. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist, dass alle Programme immer mit vielen involvierten Gruppen am runden Tisch diskutiert und ausgearbeitet wurden. ICTC entwickelt die Maßnahmen nicht im Alleingang. Es wurden immer unterschiedliche Perspektiven einbezogen: der Arbeitgeber, der Bildungseinrichtungen, der Politik, und auch der Einwandernden selbst. Alle Stimmen wurden in gleicher Weise gehört und bestmöglich berücksichtigt. Wir sprachen miteinander statt übereinander. Das war enorm wichtig.
Außerdem haben wir das Glück, dass in Kanada auch Vorintegrationsangebote umfangreich staatlich finanziert werden, und das schon seit 2006. Ich kenne kein anderes Land mit einem vergleichbaren Angebot.
Das Interview führten Evelien Willems (f-bb/IQ Fachstelle Beratung und Qualifizierung) und Julia Lubjuhn (BIBB/Portal „Anerkennung in Deutschland“).
Die Fachstelle Beratung und Qualifizierung des Förderprogramms „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ unterstützt die Bundesregierung bei der Entwicklung eines „Kohärenten Ansatzes zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten“ mit fachlicher Expertise zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen sowie zu anerkennungsbezogenen Qualifizierungsmaßnahmen.